The Shadow Effect

The Shadow Effect

Gestern habe ich das Buch „The Shadow Effect“ von Deepak Chopra, Debbie Ford und Marianne Williamson zu Ende gelesen. Die drei Autoren werfen in jeweils einem Essay aus ihrer jeweiligen Perspektive einen Blick auf das Phänomen des Schattens. Natürlich ist damit nicht physikalische Effekt gemeint, sondern viel mehr der Archetypus des  Schattens, wie er unter anderem von C.G. Jung beschrieben wurde.

Wenn ich es richtig verstanden habe, sammeln wir in unserem Leben von Beginn an all die unterdrückten und nicht gelebten oder zum Ausdruck gebrachten Emotionen und Gedanken in unserem unsichtbaren inneren Schatten. Irgendwie hat mich das an ein anderes Bild erinnert: Gerne wird ja auch mal etwas unter den Teppich gekehrt, um es aus dem sichtbaren Bereich zu halten. Der große Unterschied zwischen dem Bild des Teppichs und dem des Schattens ist aber, dass wir beim Teppich in aller Regel bewusst agieren, Dinge ausklammern, unausgesprochen und unausgedrückt lassen. Beim Schatten läuft das alles viel raffinierter, routinierter, subtiler und in weiten Teilen unbewusst ab.

Besonders eindrücklich zeigt sich dies bei der Strategie der Projektion. Der Projektion von eigenem Fehlverhalten, Schwächen oder Eigenheiten auf andere Personen oder Institutionen. Ich bin Opfer, die anderen Täter. Ich bin verantwortungsvoll, die anderen verantwortungslos. Ich bin bescheiden und zurückhaltend, die anderen egozentrisch. Im Prinzip sind all die Dinge, Eigenschaften und Verhaltensweisen, die andere an den Tag legen und die in uns etwas triggern im Grunde genommen Anteile unserer Selbst. Urteile, die wir dann über andere Fällen, sind eigentlich Urteile über uns selbst. Dass wir projizieren, ist uns in aller Regel nicht bewusst. Unser blinder Fleck liegt an unserem Schatten, aus dem heraus die Projektion gesteuert wird.

Der Schatten macht unser Leben bisweilen sehr qualvoll. Er kann es in weiten Teilen dominieren, uns unserer Kraft und Energie berauben. Er versperrt uns den Blick auf unsere wahre Essenz, auf das, was uns im Kern als Menschen in unserer Wahrheit ausmacht. Ein Zitat aus dem oben erwähnten Buch:

„Nur ein transparentes Leben ist ein freies Leben, und dazu müssen wir und den Schatten zu eigen machen. Dann haben wir in uns die Freiräume, in die wir andere einlassen können […] und zwar ohne dass wir Angst haben, unser Image könnte Risse bekommen und die Person sichtbar werden lassen, die wir immer so angestrengt unter Verschluss gehalten haben. Wenn unsere kostbare Energie nicht mehr in das Verschleiern oder Kompensieren unserer selbst-destruktiven Impulse abfließt, bekommen wir die Klarheit und auch die Schubkraft, die wir benötigen, um eine sichere Grundlage für eine inspirierende Zukunft zu schaffen.“

Von Schatten und Schattenarbeit in dem hier beschrieben Sinne hatte ich schon einmal gehört – aber mich bisher gescheut, mich dem Thema zu widmen. Es wirkt bedrohlich und negativ. Wer will schon seine Schattenseiten kennenlernen. Aber genau dieser Abwehrhaltung und Angst scheint es mir zu sein, die in der Essenz wiederum Ausdruck des Schattens selbst ist. Lieber noch mehr Energie aufwenden, um die Wasserbälle unserer Makel und Macken unter der Oberfläche zu halten, als einfach loszulassen, sie an die Oberfläche und damit ans Licht kommen zu lassen.

The Shadow Effect ist das erste Buch, dass ich zum Thema Schatten gelesen habe. Viele der in den Essays beschriebenen Aspekte des Schattens und seiner Funktionsweise klangen für mich wie Wahrheiten. Seither versuche ich mich meinen eigenen Wahrheiten zu stellen, Licht auf den Schatten zu werfen, seine Fratzen zu sehen und sie als einen Teil von mir anzunehmen. Annehmen, statt unterdrücken. Integrieren, statt unter den Teppich zu kehren. Der Schatten bringt uns dazu Dinge zu tun, wie wir eigentlich nicht tun wollen. Er steuert und wie eine Marionette. Aber das tut er nicht etwa, weil er als eigenständige Identität die volle Kontrolle hätte, sonder weil wir diesem abgespaltenen Teil unserer Selbst nichts entgegenhalten. Das Unterdrücken macht ihn nur stärker. Was wir entgegenhalten können und müssen, um ihn zu transzendieren – wie es in dem Buch heißt – ist, dass wir unser Licht auf ihn werfen, ihn sichtbar machen. Dazu noch ein Zitat aus dem Buch:

„Wenn ich vom Rest der Welt getrennt bin, fühle ich mich machtlos, da ich so klein bin und die Welt so groß ist. Ich sehe mich als schwach, wo ich doch in Wirklichkeit, als Kind Gottes, über unerschöpfliche Kraftvorräte verfüge. Mein Schatten wird mich wohl verleiten, mich kleiner zu machen, als ich bin; ich werde verängstigt sein und meinen Stärken nicht vertrauen. Wenn ich von anderen getrennt bin,  fühle ich michvon der Erfahrung der Liebe und Einheit abgeschnitten, die doch eigentlich mein Geburtsrecht als Mensch darstellt. Unter diesen Umständen muss ich statt der Freude, die mir die Gesellschaft anderer eigentlich bedeuten sollte, eine tiefe existenzielle Einsamkeit empfinden. Mein Schatten manifestiert sich dann wahrscheinlich als extreme Anhänglichkeit oder übertriebene Distanziertheit, als Überlegenheitsgefühl oder Minderwertigkeitskomplex, als manipulatives Verhalten, als chronische Abwehrhaltung, als Dominanzgebaren oder Kontrollwahn!“ (S. 237)

Boom, das saß als ich es gelesen habe. So wie viele Aussagen im Buch saßen. Es bringt einem sehr schnell sehr interessante Erfahrungen, wenn man sich im Alltag immer wieder die Frage stellt: Was löst Situation X oder Person Y gerade in mir aus? Und was hat es mit mir uns meinen verborgenen Anteilen in meinem Schatten zu tun. Diese Technik bringt Wahrheiten über das eigene Leben an den Tag. Ja, da sind dann auch natürlich schmerzhafte Erfahrungen dabei, weil man die blinden Flecken mit Licht versorgt, aber es ist weniger Energie raubend, als sich und anderen immer wieder etwas vor zu machen, sich Masken aufzusetzen und Rollen zu spielen, die mit dem wahren Kern nicht viel zu tun haben.

Marianne Williamson zitiert am Ende des Buches und am Ende ihres Essays noch eine Passage aus einem ihrer Bücher („Rückkehr der Liebe“). Die Frage, warum wir uns nicht ernsthafter mit unserem Licht beschäftigen, wenn der Schatten uns doch so zusetzt, beantwortet sie damit, dass sie glaubt: „Unser Licht, nicht unsere Dunkelheit, erschreckt uns am meisten.“ (S. 242).

Darüber denke ich gerade sehr viel nach und versuche der Aussage nachzuspüren…